So viele Hufbearbeiter schreiben sich auf die Fahne, dass sie jedes Pferd individuell sehen und immer individuell betrachten. Aber sind wir mal ehrlich: In den meisten Ausbildungen lernt man eben ein Schema F, um etwas im Stand nach Maßen, Winkeln und reproduzierbaren Kriterien zu bearbeiten, meist optischer Art.
Letztens fragte uns ein Kollege: Und wie bearbeitet ihr die Eckstreben?
Wahrscheinlich eine der am häufigsten gestellten Fragen. Diese Frage zeigt uns aber, dass wir einfach aus ganz anderen Perspektiven auf ein Pferd gucken. Und versteh uns nicht falsch: Jeder handelt nach bestem Wissen und Gewissen. Aber die Ansichten sind eben trotzdem zum Teil sehr unterschiedlich.
Vielleicht müssen wir ein bisschen ausholen: Wir wurden um eine Beratung gebeten. Die Problematik wurde uns so beschrieben, dass das Pferd eine Fehlstellung hat und regelmäßig Hufgeschwüre bekommt. Wir sind zu dem Pferd gefahren und selbst als nur das zarte Köpfchen (okay, mäßig zart bei knapp 1,70m Stockmaß) aus der Box guckte, sprang uns direkt der Halsaufsatz ins Auge. Ohne die Hufe überhaupt gesehen zu haben, war klar, dass das Pferd Hufprobleme und auch Zuckerstoffwechselprobleme hat.
In dem Moment gehen uns viele Gedanken durch den Kopf: Fallen wir gleich mit der Tür ins Haus? Verschrecken wir die Besitzer dann? Wie vorsichtig fangen wir an? Wie klar müssen wir sein?
Wenn man Pferd und Besitzer noch gar nicht kennt, ist es nicht leicht zu entscheiden, wie man vorgeht. In diesem Fall haben wir entschieden, uns erstmal die Geschichte erzählen zu lassen, das Pferd und die Hufe zu begutachten und einfach Fragen zu stellen. Schnell stellte sich heraus, dass den Besitzern viele Probleme bereits bewusst waren, sie nur den Zusammenhang und vor allem nicht die Lösung ihrer Probleme kennen.
Und bei all den Problemen, die wir an diesem Pferd gesehen haben, ist die einzige Frage des Kollegen: Und wie würdet ihr da jetzt die Eckstreben bearbeiten?
Das ist tatsächlich gerade nicht das Problem des Pferdes. Obwohl vielleicht schon, denn die Sohle war mit dem Finger einzudrücken und es gab quasi keine Strahlfurchentiefe. Also im besten Fall lässt man die Eckstrebe einfach mal ihren Job machen und stört sie dabei nicht. Wir bewundern sogar ihren Einsatz und ihre Fähigkeiten andere Strukturen zu unterstützen. Also Finger weg von den Eckstreben.
Wenn du aber nun in der Ausbildung lernst, dass eine Eckstrebe so zu bearbeiten ist, dass sie in geradem Verlauf von der Trachte bis zur Mitte des Strahls leicht abfallend kurz über Sohlenniveau zu sein hat oder generell auf Sohlenniveau verlaufen sollte, verkennst du in vielen Fällen ihr Potenzial. Und in vielen Fällen schadet eine Bearbeitung nach einem Schema dem Pferd sogar.
Aber warum wird denn so oft nach Schema gearbeitet, obwohl wir alle von einer individuellen Bearbeitung sprechen?
Grundsätzlich ist es viel einfacher in der Ausbildung ein Schema beizubringen: Wenn du Schritt A gemacht hast, machst du Schritt B und kürzt dies auf Höhe C und das auf Länge D. Diese Schritte kann ein Auszubildender durchführen und ein Ausbilder prüfen.
Bei uns ist das aber manchmal so: Bei einem Huf ist es unbedingt erforderlich A auf die Höhe B zu kürzen, bei dem anderen Huf wäre es fatal A auf die Höhe B zu kürzen. Denn es kommt eben immer drauf an… auf den Huf, auf das Pferd, auf die Umgebung, die Haltung, die Böden, die Fütterung, die Nutzung, die Zusammenarbeit der einzelnen Hufstrukturen, das Wetter, die Bewegung.
Es ist einfacher, dem Kunden eine schematische Bearbeitung zu verkaufen. Denn der Huf sieht immer ziemlich gleich aus und vor allem ordentlich. Es ist für die Kunden beruhigend, wenn die Hufe immer gleich aussehen. Man liest auch einfach viel im Internet wie schlimm Eckstreben drücken, wie wichtig ein Sohlengewölbe ist oder was Sohlenschwielen anrichten können. Wenn der Huf nach der Bearbeitung wieder den optischen Kriterien entspricht, kann das auch schon mal über vorhandene Mängel hinwegtäuschen.
Es ist einfacher vor sich selbst zu rechtfertigen. Selbst wenn ein Huf sich nicht so weiterentwickelt, wie wir es uns wünschen, können wir sagen: Ich habe alles so gemacht wie ich es gelernt habe. Bei dem Huf geht es dann halt nicht oder der Fehler liegt in der Genetik, beim Besitzer, beim vorherigen Hufbearbeiter…
Man geht Kritik aus dem Weg. Ich habe selten einen Tierarzt oder Therapeuten oder Pferdebesitzer (außer vielleicht unsere Kunden) gehört, der sagt: Oh mein Gott, warum ist die Sohle so glatt geschnitten oder warum sieht der Strahl so exakt beschnitten aus. Aber ich höre solche Kommentare: Wann war denn das letzte Mal der Hufbearbeiter da? Der Strahl muss dringend ausgeschnitten werden. Oder: Diese dicken Eckstreben müssen ja drücken, die müssen dringend weggeschnitten werden. Ja, wirklich?
Hier ein Huf in der Reha – er macht das ziemlich gut!
Erklär warum der Huf das macht
Wir gehen der Kritik nicht aus dem Weg, versuchen aber unseren Standpunkt einfach zu erklären – vor allem dem Pferdebesitzer. Und am besten erklären wir das bevor jemand anderes einen komischen Kommentar abgibt. Wir erklären warum wir etwas bearbeiten oder auch nicht, was unsere Erfahrungen sind, welche Veränderung wir erwarten und was andere vielleicht anders machen würden und aus welchen Gründen – einfach neutral. Denn ein Strahl, der richtig gut komprimiert ist, ist eben viel widerstandsfähiger als ein frisch beschnittener oder eine dicke Eckstrebe unterstützt vielleicht gerade eine dünne Sohle.
Die Optik wird mehr gewichtet als die Funktion oder eine ausbalancierte Optik wird (fälschlicherweise) mit einer guten Funktion gleichgesetzt. Wir erleben es leider recht häufig, dass ein Huf im Stand ausbalanciert wird, die Pferde dann aber schlechter laufen. Es wird eine weitere Dimension der Balance vergessen: die Funktion. Die Funktionalität steht bei uns immer an erster Stelle und zwar in der Bewegung. Die Optik folgt von ganz allein.
Hufe werden oft unterschätzt. Ich glaube, das ist eines der größten Probleme: Es fehlt das Vertrauen in die Hufe, in die Pferde in deren Fähigkeiten. Aber wir lernen das auch so: Wenn sich was verändert, beispielsweise ein Knubbel auf der Sohle, wird er wegbearbeitet. Wie wäre es denn sich zu überlegen, was sich der Huf dabei gedacht hat?! Also das Warum? Was wäre, wenn wir ihn dalassen und schauen, was sich noch verändert? Aber es ist natürlich auch so, dass noch nicht viele Hufbearbeiter diese gigantische Entwicklung miterleben durften. Denn die Hufe bei guten Haltungsbedingungen mit schlauen Böden und optimierter Fütterung tatsächlich einfach mal nur zu beobachten, dass ist das was uns so viel Vertrauen gegeben hat. Selbst ziemlich schreckliche Hufe können sich bombastisch entwickeln, wenn man ihnen gute Möglichkeiten schafft. Dazu kannst du dir am besten die Artikel über unsere wilden Ponies durchlesen.
Wir geben uns mit zu wenig zufrieden. Wir lassen zu viele Ausreden gelten. Wir glauben zu wenig an Veränderungen und Wunder. Wir denken zu wenig out of the box. Das möchten wir ändern. Deshalb tauschen wir uns mit Hufverrückten aus – im HUFland.
Lern wieder mitzudenken, den Hufen und Pferden zu vertrauen. Nimm die Pferdebesitzer mit in die Verantwortung. Mach mal was anders – und wenn du das nächste Mal bei der Bearbeitung etwas aus der Gewohnheit machst, nach einem Schema, denk an uns und mach mal was Verrücktes. Lass die Eckstreben zum Beispiel mal stehen. Denn wie eingangs geschrieben: Die Bearbeitung der Eckstreben ist in den meisten Fällen nicht der Punkt, um den es geht.