Warum Kryotherapie nicht immer die erhoffte Wunderwaffe bei endokriner Hufrehe ist

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Einer der am häufigsten genannten Ratschläge vom Tierarzt, wenn die Diagnose Hufrehe im Raum steht, ist das Kühlen der vermutlich betroffenen Hufe. Aber warum eigentlich? Als ich diese so oft unbegründete Anweisung einmal in Frage gestellt und mich selbst über das Thema informiert habe, wurde mir vieles klar, was mir vorher noch nie jemand erklärt hat. Vielleicht können auch dir meine Erkenntnisse helfen, eigenverantwortlich und aktiv zu entscheiden, ob die Maßnahme für dich und dein Pferd in eurer Situation Sinn ergibt.

Tabita Rossmann über Kryotherapie bei Hufrehe

Ein Fachbeitrag von Tabita Rossmann

Tabita Rossmann hat bei uns die Ausbildung zur Hufrehe Beraterin absolviert. Du erreichst Tabita unter +49 1522 7997276 oder via E-Mail: info.tabitarossmann@gmail.com

Kryotherapie: Kühlen ist nicht gleich kühlen

Wenn man vom “Kühlen” bei Hufrehe im klinischen Kontext spricht, ist meist die Kryotherapie gemeint. Hierbei werden die Hufe bis zum Karpalgelenk über mehrere Tage auf Temperaturen unter 10°C gehalten. Diese äußerst intensive Behandlung basiert auf diversen Studien, bei denen die inneren Strukturen im gekühlten Huf nach korrekt angewendeter Kryotherapie deutlich weniger Schäden aufwiesen als in den Hufen,die nicht gekühlt wurden(Eps & Pollitt, 2009). Daraus wurde geschlussfolgert, dass die Methode den Ausgang einer Hufrehe mildern kann und eine deutlich bessere Prognose für das Leben danach
ermöglicht.

Sind diese Studien aussagekräftig?

Allerdings wurde bei allen Pferden, die für solche Experimente genutzt wurden, die Hufrehe durch eine kurzfristige Vergiftung ausgelöst. Die anatomischen Veränderungen im Huf und deren Ausmaß sind stark vom Auslöser der Hufrehe abhängig. Daher sind die Ergebnisse dieser Studien nicht einfach auf unsere Pferde zu übertragen, bei denen sich die Hufrehe meist schon über einen langen Zeitraum ankündigt oder unterschwellig voranschreitet. Außerdem wurden die Pferde meist wenige Tage nach Beginn der Hufrehe eingeschläfert. Es gibt also keinerlei Untersuchungen dazu, wie die Kryotherapie das tatsächliche
Laufverhalten nach der Hufrehe verändert. Nur weil weniger Schäden im Huf entstehen, wenn die Therapie korrekt angewendet wird, laufen die Pferde danach nicht zwangsläufig besser. Negative Nebenwirkungen, die möglicherweise erst einige Zeit nach der Anwendung auftreten, sind natürlich auch nicht bekannt, da die Pferde nie lang genug leben, um den weiteren Verlauf zu beobachten und zu erforschen.

Der Unterschied: sporadisches Kühlen der Hufe und intensive Kryotherapie

Die Umsetzung dessen, wie die meisten sie kennen, hat aber sehr wenig mit Kryotherapie
zu tun. Meist werden Besitzer beim Verdacht auf Hufrehe vom Tierarzt angewiesen, die Hufe
zwischendurch mit kaltem Wasser oder Eisbeuteln zu kühlen. Sporadisches kühlen und intensive Kryotherapie haben sehr unterschiedliche Effekte, daher sollte abgewogen und individuell entschieden werden, ob überhaupt gekühlt wird, und wenn ja, wie.

Macht Kryotherapie bei meinem Hufrehe Pferd dann Sinn?

Die Anwendung von Kryotherapie hat durchaus ihre Berechtigung. Durch die Anwendung
können viele Schäden im Huf verhindert werden
(Eps & Pollitt, 2009). Außerdem wirkt die
Kryotherapie während der Anwendung oftmals schmerzlindernd. Doch ist sie mit sehr viel
Zeitaufwand verbunden.

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Was muss bei der praktischen Anwendung von Kryotherapie beachtet werden?

Um einen Effekt zu erzielen, müssen die Hufe über mehrere Tage unter 10 °C gehalten werden. Die Effektivität der Therapie setzt allerdings voraus, dass die Ursache der Hufrehe bereits abgestellt wurde. Und das ist auch schon der erste Knackpunkt: Im klinischen Kontext war der Auslöser der Hufrehe eine Vergiftung, die sofort nach Eintritt der ersten Symptome abgestellt wurde. Da die Wirkung dieser Vergiftung normalerweise nach 2-3 Tagen abklingt, wurde beschlossen, so lange zu kühlen. Bei einer endokrinen Hufrehe ist der entgleiste Stoffwechsel der Auslöser. Diese Ursache kann nicht einfach so abgestellt werden, sondern benötigt viel Zeit und die Umsetzung von entsprechenden Maßnahmen. Die Zeitspanne, in der die Kryotherapie angewendet werden sollte, kann also nicht von der Ursache abhängig gemacht werden und ist nur schwer zu bestimmen, weil es sonst auch wenig Anhaltspunkte gibt.

Des Weiteren ist die Kryotherapie in Experimenten bisher nur an Pferden angewendet worden, die vor den Experimenten keine bekannten Schäden in den Hufen hatten. In den meisten Fällen sind die Hufe aber durchaus schon vor dem ersten akuten Reheschub geschädigt. Die Effektivität der Therapie ist daher nur schwer vorherzusagen. Bestehende Schäden können durch die Anwendung nicht rückgängig gemacht werden und es ist fraglich, ob der zu betreibende Aufwand tatsächlich lohnend ist, wenn die Therapie nur sehr bedingt wirken kann.

Auch wird die Therapie in der Praxis meist erst begonnen, wenn die Diagnose Hufrehe auf Basis der Symptome sichergestellt werden kann. In der Situation ist auch wieder zu bedenken, dass die Therapie eigentlich darauf abzielt, die Schäden im Huf zu verhindern, bevor gröbere Anzeichen von Hufrehe auftreten. Wenn die Diagnose schon sicher gestellt wurde und das Pferd starke Symptome zeigt, sind die meisten Schäden schon entstanden. Die Kryotherapie kann also auch dann schon nicht mehr oder nur noch eingeschränkt wirken.

Wann ist Kryotherapie für mein Pferd sinnvoll?

Wenn man all diese Punkte berücksichtigt, merkt man, dass Kryotherapie in den meisten
Fällen nicht oder nur bedingt hilfreich ist. Manchmal kann sie sogar schädlich sein. Gerade
bei Pferden, die auf Kälte mit Winter Laminitis reagieren, sollte Kryotherapie nicht angewendet werden. Auch im Sommer würde sie bei diesen Pferden vermutlich zusätzliche Schmerzen auslösen, was in jedem Fall vermieden werden muss.

Viele Pferde, die eine endokrine Hufrehe erleiden, haben bereits diverse körperliche Probleme durch den veränderten Stoffwechsel, die sich nicht direkt an den Hufen äußern. Zum Beispiel haben die meisten Pferde mit endokriner Hufrehe eine schlechtere Durchblutung, was sich nicht nur auf die Hufe beschränkt, sondern den gesamten Organismus betrifft(Morgan et al., 2016). Die Hauptwirkung der Kryotherapie ist allerdings die Einschränkung der Durchblutung im Huf. Wenn man bedenkt, dass Pferde mit endokriner Hufrehe dieses Problem schon ohnehin haben und oftmals mit Schmerzen und Fühligkeit auf niedrige Temperaturen reagieren, stellt man leicht fest, dass die Methode für solche Pferde schlichtweg ungeeignet ist. Viele weitere Stoffwechselveränderungen, die die Wirkung der Kryotherapie möglicherweise beeinflussen, sind bislang unerforscht. Für die Praxis bedeutet das: individuell entscheiden und beobachten. Das letzte was man in der Situation bewirken möchte, sind weitere unnötige Schmerzen.

Bei einer tatsächlichen toxischen Rehe oder dem ersten Reheschub, durch eine unerkannte PPID verursacht, ist Kryotherapie durchaus als wirkungsvolle Maßnahme zu betrachten. Je mehr Schäden an den Hufen und Veränderungen des Stoffwechsels jedoch bereits zu erkennen sind, desto unsicherer ist vorherzusagen, wie und ob die Therapie wirken kann.

Wie wird Kryotherapie richtig durchgeführt?

Sollte man sich nach sorgfältiger Überlegung doch dazu entscheiden, die Kryotherapie anzuwenden, gibt es auch für die Umsetzung einige Dinge zu beachten.

Anwendung des betroffenen Beins

Wichtig bei der Anwendung ist, dass das betroffene Bein möglichst bis zum Karpal- oder Sprunggelenk gekühlt wird. Die Temperatur sollte dabei so konstant wie möglich gehalten werden. Hier geht man davon aus, dass eine Temperatur zwischen 5 und 10 °C am meisten Wirkung verspricht(Beckstett, 2011). Wichtig ist außerdem, dass ein Wärmeaustausch stattfinden kann, das heißt, dass sich die kühlende Substanz um das Bein etwas bewegen und so ihre kühlende Wirkung länger beibehalten kann. Natürlich muss auch bedacht werden, dass öfter gekühlt werden muss, je höher die Außentemperatur ist(Morgan et al., 2018). Eine Dauer von 48-72 Stunden wird üblicherweise empfohlen, da ohne Kältetherapie nach dieser Zeitspanne normalerweise auch die anderen Symptome wie Pulsation und erhöhte Temperatur abklingen, sofern der Auslöser für die Hufrehe entfernt wurde.

Ausreichend Zeit für die Anwendung einplanen

Der Zeitaufwand, der mit der Kryotherapie verbunden ist, ist oft eine weitere Einschränkung, die Therapie tatsächlich umzusetzen. Die Abstände bei den wirksamsten Kühlsystemen, in denen die Eispacks ausgetauscht werden, überschreiten keine 3 Stunden. Das heißt, man müsste alle 2-3 Stunden nachts aufstehen, um zu kühlen und auch tagsüber bleibt zwischen dem Austausch nur wenig Zeit, die man mit etwas anderem verbringen könnte. In der Praxis ist das oft der entscheidende Faktor, warum die Therapie schlussendlich nicht durchgeführt wird.

Das richtige Equipment für die intensive Kühlung

Falls auch das einen noch nicht abschreckt, sollte man auf ein System zurückgegriffen, in dem mit tatsächlichem Eis gekühlt wird, also in der Form von Soaking bags, Jack ́s Ice Boots oder IceHorse Therapieschuhen, da hier die Kälteperioden zwischen dem Wechsel am weitesten ausgedehnt werden können. Bei Pferden mit dünner Sohle oder allgemein schwachen Hufen kommt eigentlich nur letzterer in frage, da hier mit trockenen Eispacks gearbeitet wird, die die Sohle nicht dauerhaft aufweichen, und so keine Hufbeinabsenkung oder spätere Fäulnis begünstigen(van Eps, 2013). In der Anwendung von Soaking Bags oder Jack’s Ice Boots kann dies durchaus zum Problem werden.

In den IceHorse Therapieschulen werden die Eispacks alle 2-3 Stunden ausgetauscht, um effektiv kühlen zu können, man sollte also immer 6 Beutel haben(IceHorse® Replacement COLD CAPSULES, n.d.). Die Beutel können hier auch wieder verwendet werden und man benötigt keine Unmengen an Eis auf Vorrat, die alle 2-4 Stunden komplett ausgetauscht werden müssen. Zudem schützt der Schuh die Sohle von unten und kann nach Bedarf auch noch etwas gepolstert werden. Obwohl der Schuh nur bis knapp über den Fesselkopf reicht, ist er eine recht benutzerfreundliche Variante. Allerdings ist er nur in sehr begrenzten Größen erhältlich. Bei Hufen, die kleiner als die vorhandenen Größen sind, mag das noch
funktionieren, bei größeren Hufen allerdings nicht. Während der Anwendung gilt trotzdem weiterhin: beobachten und ggf. abbrechen, wenn das Pferd unter zusätzlichen Schmerzen zu leiden scheint.

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Auf den individuellen Fall kommt es an

Alles in Allem ist hervorzuheben, dass die Wirkung von Kryotherapie, selbst wenn alles richtig gemacht wird, noch relativ unerforscht ist. Sowohl die Langzeitfolgen als auch die tatsächliche Wirkung bei einer stoffwechselbedingten Hufrehe sind nicht vorherzusagen. Gerade bei endokriner Hufrehe sind noch sehr viele Einflussfaktoren unbekannt, die die Wirkung der Kryotherapie beeinflussen können und zudem individuell unterschiedlich ausgeprägt sind. Manchen Pferden mag Kryotherapie tatsächlich helfen, andere reagieren positiv auf moderates Kühlen in größeren Abständen, manchmal können aber auch
wärmende Gamaschen helfen. Wichtig ist im akuten Fall, darauf zu hören und zu beobachten, was das Pferd als hilfreich empfindet. Die beste Therapie ist keine Therapie, wenn sie dem Pferd nicht tatsächlich hilft.

Wir sind Team-HUF:

Christina & Barbara

Christina & Barbara

Wir sind Barbara & Christina. Ursprünglich Hufbearbeiter, mittlerweile Wissensvermittler und immer ein bisschen verrückt! Unsere Mission: Wir möchten Huf-Wissen für jeden verständlich weitergeben.