Pferdegewicht – Wo muss ich hingucken und wieso ist das überhaupt ein Thema?

Das Pferdegewicht spielt nicht nur für die Hufgesundheit eine wichtige Rolle, wirkt sich auch auf die Leistungsfähigkeit, die Rittigkeit, die Verschleißerscheinungen, Prädispositionen zu Stoffwechselproblemen, den Bau von Gewebe und sämtliche andere Strukturen und Organsysteme des Pferdes aus.

Eine Studie aus England hat ergeben, dass Pferdebesitzer sich sehr schwer damit tun ihr Pferd objektiv einzuschätzen. Wir erleben das auch jeden Tag.

Für die Gesundheit und ein langes beschwerdefreies Leben ist bei Pferden genau das Gleiche wichtig wie bei uns: gesunde Ernährung, Bewegung, gute Freunde und wenig Stress. Es muss auch nicht jeder total durchtrainiert sein, aber um was es uns geht, ist die Blickschulung und ein realistisches einschätzen der Pferde. Ein Pferd, dass selbst schon Übergewicht hat, sollte ich vielleicht nicht noch zusätzlich durch mein Gewicht belasten. Ein Pferd was wenig Muskulatur hat auch nicht. Wenn ich sportliche Leistungen von meinem Pferd fordere, muss ich auch dafür Sorge tragen, dass es körperlich dazu in der Verfassung ist. Das Bild eines “normal” dicken Pferdes hat sich in den letzten Jahren oder vielleicht schon Jahrzehnten deutlich verschoben. Natürlich müssen Rasse, Typ, Alter und Trainingszustand mit in die Beurteilung einbezogen werden.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten das Thema Gewicht etwas objektiver anzugehen. Es hilft zum Beispiel schon, wenn man einfach mal regelmäßig Fotos vom Pferd macht und diese mit älteren vergleicht. Dabei sind die Perspektiven von der Seite, von vorne, von hinten und von oben interessant. Auch der Blick am Pferd entlang über die Schulter und den Rippenbogen oder besonders auffällige Körperregionen im Detail. Fotos sind natürlich nur zweidimensional und geben nicht so richtig die Realität wieder, aber es ist ein Anfang.

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Eine Schwierigkeit ist das unterscheiden von Fett und Muskulatur. Hier kann man bei Fragen gut geschulte Trainer oder Physiotherapeuten zu Rate ziehen. Denn häufig sind die “runden” Pferde eher rund wegen des hohen Fettanteils, und nicht wegen der von den Besitzern erhofften Muskulatur. Sportliche Pferde werden schnell als zu dünn abgestempelt oder bei alten Pferden wird hingenommen, dass sie klapprig sind. Eine verrückte Welt.

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Links sieht man deutliche Fetteinlagerungen im Bereich der Kruppe. Rechts im Vergleich einige Wochen später und einige Kilo leichter.

Es gibt den Body Condition Score (BCS) nach Henneke, der einem in dem Punkt ein wenig helfen kann. Dort werden Körperregionen einzeln beurteilt und danach ein Durchschnitt ermittelt. Die Ausprägung von Knochenvorsprüngen bzw. deren Abdeckung mit Fett oder Muskel werden in neun Kategorien von deutlich unter- bis deutlich übergewichtig beschrieben, so dass man dies bei seinem Pferd gut prüfen kann. Optimal wäre ein Body Condition Score von 4.5 bis 5.5. Henneke geht auf die Regionen: Mähnenkamm, Schulter, Widerrist, Rippen, Kruppe … ein. Problematisch wird es gegebenenfalls bei ausgeprägten aber sehr regionalen Fettdepots in Kombination mit wenig Muskulatur. Die Pferde schneiden im Durchschnitt vielleicht gut ab, aber diese Depots können schwerwiegende gesundheitliche Ursachen haben. Vielleicht vergleichbar mit einem Menschen mit dickem Bauch, aber dünnen Beinen. Gesund ist das nicht, aber im Durchschnitt stimmt vielleicht das Gewicht.

Zum Ermitteln des Gewichtes gibt es verschiedene Möglichkeiten, die mehr oder weniger genau sind. Zum einen gibt es eine Formel zum Errechnen des Gewichtes, es gibt Maßbänder und mittlerweile auch recht verbreitet die Pferdeawaagen. Trotzdem nochmal kurz der Hinweis: Gewicht allein reicht nicht aus, um ein krankes von einem gesunden Pferd zu unterscheiden. Ich denke, das sollte uns immer bewusst sein.

Um das Ganze nochmal zu verdeutlichen, haben wir uns selbst mal mit einer App so verändert, dass wir die Extreme zeigen, vielleicht ist das etwas einprägsamer.

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Man sieht die Veränderung der Körperformen. Auch bei den Pferden sieht man das, zumindest, wenn man es auch möchte.

Hier mal ein Vorher-Nachher-Bild, bzw. eher ein Vorher-Zwischenstand-Bild. Diese Pony heißt Liesbeth. Sie ist ein wildes Exmoor-Konik-Mix, wurde zur Landschaftspflege eingesetzt und entwickelte dort eine Hufrehe. Durch das sehr große Futterangebot und die wenige Bewegung ist der Stoffwechsel entgleist. Mit Sicherheit hat sie genetisch die Veranlagung, dass dieser entgleist, und durch die Lebensumstände kam es dann zur krankhaften Entwicklung. Das erste Bild entstand kurz nach ihrem Einzug bei uns auf der Reha-Station, das zweite ca. 8 Wochen später. Diese Bild ist nicht mit der App bearbeitet, sondern durch die Veränderung im Fütterungs- und Haltungsmanagement, konnten Liesbeth anfangen ihre Fettdepots abzubauen. Besonders an Schulter, Hals und Kruppe sieht man deutliche Veränderungen. Wichtig ist, dass so etwas nicht über das Hungern erreicht werden sollte, sondern über eine kohlenhydratarme Ernährung und viel Bewegung.

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Vergleich mit acht Wochen Unterschied. Deutlich weniger Einlagerungen an Kruppe, Bauch, Hals und Schulter.

Wir haben mal ein paar Beispiele zusammen getragen, damit ihr anfangen könnt ein Gewicht einzuschätzen. Denn das ist gar nicht immer so einfach. Und dann muss man ja auch noch schauen, ob es Muskel- oder Fettmasse ist. Aber fangen wir mal an.

Um nochmal auf den BCS einzugehen hier drei Beispiele von deutlich zu schlank bis deutlich zu dick. Das erste Pferd ist bereits 30 Jahre alt. Ab einem gewissen Alter ist das erhalten der Körpermasse nicht mehr so einfach, bzw. mit einem deutlichen Mehraufwand verbunden. Wenn die Körpermassen abnimmt treten Knochenvorsprünge deutlicher hervor. Rippen, Kruppe und Widerrist stechen eckig heraus. Trotzdem ist dieses Pferd noch fit und geht jeden Tag stramm spazieren. Gerade bei alten Pferden ist etwas weniger Gewicht für die vielleicht schon arthrotischen Gelenke mit Sicherheit angenehmer, als zu viel Gewicht. Trotzdem müssten viele alte Pferde nicht wie ein Gerippe aussehen, wenn die Fütterung an die besonderen Bedürfnisse angepasst würde. Das zweite Pferd hat eine sportlich schlanke Figur. Man sieht keine Fettdepots, die Knochenvorsprünge sind abgedeckt, aber nicht in Masse vergraben und man sieht eine Taille.  Auf dem dritten Bild sieht man ein deutlich übergewichtiges Pferd. Es zeigen sich Fettdepots an Kruppe, Bauch, Schulter und Hals. Zum Zeitpunkt des Fotos zeigte er so keine Beschwerden, einige Monate später folgten dann mehrere Reheschübe.

Deshalb finden wir Prävention so wichtig. Man kann viel Leid verhindern, wenn man nur früh genug und vor allem objektiv hinschaut!

Und noch ein Beispiel:

Dieses Pferd ist knapp 20 Jahre alt und ca. 145cm groß.

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Findest du es dick oder dünn? Hast du eine Idee zum Gewicht? Natürlich ist das wieder etwas schwierig nur mit Foto.

Das nächste Foto ist etwa zwei Jahre später aufgenommen worden. Siehst du Veränderungen? Wie schätzt du das Gewicht jetzt ein?

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Auf dem ersten Bild wirkt das Pferd durch seine Masse viel größer. Daher ist für so eine Einschätzung per Foto wichtig ein paar Details dazu zu bekommen. Noch besser ist ein Video oder am besten natürlich ein Termin vor Ort. Aber auch an Fotos kann man schon Dinge erkennen und üben das Pferdegewicht einzuschätzen.

Um nochmal kurz auf Maßband und Waage einzugehen. Ein Kollegin aus der Schweiz, Fit your Pony, hat den Test bei ihren Pferden gemacht und das “gemessene” und das gewogenen Gewicht verglichen. Es waren Abweichungen von 0 bis 15% vom echten Gewicht dabei. Das Maßband hat die Pferde alle “schlanker” gemacht. Sehr spannend. Wenn man das mal überträgt, sind 15% schon eine Menge.

Und es gibt auch noch eine Formel (von CARROL u. HUNTINGTON 1988 bzw. FRAPE 1998), mit der man auch mit Körpermaßen das Gewicht ermitteln kann. Die Genauigkeit soll bei +/- 5% liegen.

Dazu wird der Brustumfang gemessen: Nimm ein Maßband und lege es direkt hinter den Widerrist, dann einmal um den Brustkorb herum.

Und es wir die Körperlänge gemessen: Miss vom Buggelenk die Länge bis zum Sitzbeinhöcker.
Zur Berechnung wird folgende Formel verwendet:

Körpermasse (kg) = Brustumfang (cm)² x Körperlänge (cm) geteilt durch 11900

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Jetzt bist du dran. Schau dir dein Pferd an, mach Bilder, wende den BCS an, wiege, messe und lerne.

Ach so, das gepunktete Pferd von den beiden Vergleichsbildern wog 2017 583 kg (bei 145 cm Größe !) und 2019 dann 474 kg. Was war deine Schätzung?

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